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MAI 1992
 

Rieser Nachrichten (Hans Habermann):
„Wer mit Frédéric Chopin (1810 – 1049) an die Öffentlichkeit geht, muss nicht nur höchsten virtuosen Ansprüchen genügen. Das Kuratorium der Oettinger Schlosskonzerte tat mit dem Pianisten Hermann Müller einen guten Griff und präsentierte einen Künstler, der gleichermaßen auch der geistvollen, leichtfüßig parlierenden und doch tiefgründigen Musik Chopins gerecht wurde.
Hermann Müller hat sich in seiner Ausbildung u.a. in Krakau mit der polnischen Chopin-Tradition auseinandergesetzt, doch in Oettingen vom Programm und der Interpretation her vor allem das Französische in Chopin zur Geltung gebracht. Das wurde bereits bei den einstimmenden Nocturnos Es-Dur (opus 55/2 von 1844) mit seiner Doppelmelodik und dem hingehauchten in Des-Dur (opus 27/2 von 1836) deutlich. Der musikalische Esprit triumphierte geradezu in der bilderhaften Ballade g-Moll (opus 23 von 1836), wo Chopin zwar in den dramatischen Passagen das Slawische in sich nicht verleugnet, aber durch die Klangsublimierung selbst kräftige Akkorde in hauchfeine Arabesken auflöst. Hier holte Müller die innere Spannung nicht zuletzt aus der beseelten Melodik. Drei Mazurken (a-Moll, A-Dur und fis-Moll opus 59 von 1846) bot der Pianist in einer zwar drängenden, aber nahezu schwerelosen Rhythmik; er ließ den thematischen Reichtum, den melodischen Fluss und die untergründige, immer wieder überspielte Schwermütigkeit zur Geltung kommen. Den ersten Programmteil beschloss das b-Moll Scherzo (opus 31 von 1838), bei dem Hermann Müller grollende Bässe verhältnismäßig sparsam einsetzte und die Leidenschaft zugunsten einer bezaubernden, fast impressionistischen Klangpoesie etwas zurückdrängte. Von den drei Chopin-Sonaten wählte der Pianist die in h-Moll (opus 58 von 1844) aus, die sowohl technisch wie auch von der inhaltlichen Gestaltung her vom Interpreten ungewöhnlich viel abverlangt, aber die Wesenszüge des Komponisten in ihrer Vielfalt manifestiert. Auch hier steigerte Müller durch geschicktes Rubato die innere Dramatik, ohne dabei dem Pathetischen zu verfallen (Allegro maestoso). Die rollende Melodik faszinierte im Scherzo; die Zartheit des geradezu hingehauchten Largos und das fantasievolle, stürmische Finale begeisterten. Das große Auditorium feierte den Magdeburger Künstler, dem es gelang, der virtuosen Beseeltheit Chopins ohne Abstriche gerecht zu werden.“




Mai 1991 | Mai 1993